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Lichtblicke Demokratie

Wissenschaftlicher Begleittext, Tamara Ehs

Die Lichtblicke lenken unsere Aufmerksamkeit auf zwei wesentliche Voraussetzungen für das Zusammenleben in einer Demokratie: auf den öffentlichen Raum als Begegnungsort unter Fremden sowie auf das Licht als Beleuchtung politischer Herrschaftsverhältnisse im Sinne einer Kontrollfunktion durch Zivilgesellschaft, Medien und Kunst. „Democracy Dies in Darkness“ – die Demokratie stirbt im Dunkeln – lautet seit einigen Jahren das Motto der Washington Post, seit einigen Jahren, in denen man selbst in vormals stabil geglaubten Demokratien eine autoritäre Wende aufziehen sieht; nicht nur in den USA, sondern selbst unter Mitgliedern der Europäischen Union wie Ungarn und Polen. Auch Österreich ist vor Autokratisierung nicht gefeit. Dies zeigt sich etwa in Einschüchterungsklagen gegen Journalist:innen, Diffamierung von rechtsstaatlichen Institutionen wie dem Verfassungsgerichtshof oder der WKStA, in der Zurichtung der Medien durch Inseratekorruption, in der Sprache affektiver Polarisierung.

Den Boden hierfür bereiteten unter anderem fehlende Transparenz, nicht zuletzt durch ein mangelndes Informationsfreiheitsgesetz, und der österreichische Hang ins Informelle. Doch Politik im Schatten tut der Demokratie nicht gut. Deshalb müssen Bürger:innen stets wachsam sein und dürfen sich nicht blenden lassen. Der Erhalt der liberalen Demokratie bedarf der steten Aufklärung, durchaus in der epochengebenden Bedeutung: Enlightenment –Vernunft, Kritik, Bildung, Toleranz sowie Orientierung am Gemeinwohl. Nicht die Hinterzimmer, sondern der öffentliche Raum manifestiert die Infrastruktur der Demokratie. Straßen, Parks, Plätze und ihre allgemeine Zugänglichkeit – das heißt barrierefrei und ohne Konsumzwang – sind als Teil der Daseinsvorsorge zu verstehen. Somit richten sich die Lichtblicke stets auch gegen die Privatisierung des öffentlichen Raums.

Der öffentliche Raum ist der für die Demokratie notwendig Ort der zufälligen Begegnung, an dem man sich unabhängig von der sozialen Stellung aufhalten kann, wo man aufeinandertrifft, ohne sich verabredet zu haben, wo man durch zufällige Gespräche mit anderen Ansichten konfrontiert und herausgefordert wird. Die demokratisch organisierte Gesellschaft lebt vom Aushandeln und Aushalten von Differenzen, insbesondere von kultureller Differenz. Die Lichtblicke rufen eine Irritation hervor, dass etwa anders ist als sonst, veranlassen zum Stehenbleiben und Hinschauen. Vielleicht bleibt neben uns noch jemand stehen und vielleicht kommen wir miteinander ins Gespräch, weil wir uns fragen, was das ist, was das soll und wie wir damit umgehen. Die Kunst, ihr Erlebnis und die Teilnahme daran können helfen, den Blickwinkel zu ändern, mit Neuem, Andersartigem konfrontiert zu werden. Die gewohnte Sichtweise wird gebrochen.

Insbesondere in einer Stadt, in der ein Drittel der Einwohner:innen nicht wahlberechtigt ist, kommt dem öffentlichen Raum erhöhte Aufmerksamkeit zu, nämlich als demokratische Infrastruktur, die auch jenen Ausdrucksmöglichkeit bietet, denen sie in den politischen Institutionen verwehrt ist. Statistisch gesehen hat jeder dritte Mensch, dem wir an den Lichtorten begegnen, kein Wahlrecht in Österreich, keine Möglichkeit, seinem politischen Willen wirksam Ausdruck zu verleihen. Sich in seine eigenen Angelegenheiten einmischen und sie gemeinsam mit anderen regeln zu können, ist aber wesentlich für die Demokratie und den sozialen Frieden. Die Forschung bestätigt, dass mehr Demokratie weniger bewaffnete Auseinandersetzungen und Kriege bedeutet – sowohl zwischenstaatlich als auch im jeweiligen Land. Verglichen mit Autokratien sind Demokratien weniger anfällig für Bürgerkriege und innenpolitische Unruhen.

Aber Friede ist selbst in der Demokratie keine Selbstverständlichkeit, sondern muss immer wieder hergestellt werden. Wie heuer beispielsweise die Lichtblicke am Heldentor verdeutlichen, müssen die Friedenstauben immer wieder zueinander finden, indem wir uns um sie bemühen, unter anderem indem wir unseren Standpunkt ändern. Erst wenn wir uns im demokratischen Dialog engagieren, wenn wir die Teilhaberechte erweitern, wenn wir die soziale Dimension von Demokratie mitdenken, können wir Gleichheit, Gerechtigkeit und Frieden erreichen. Geschlechtergerechtigkeit spielt hierbei eine nicht zu vernachlässigende Rolle, weswegen die Lichtblicke eine dezidiert feministische Perspektive einnehmen. Die Politikwissenschaft zeigt, dass je patriarchaler ein Staat geführt ist, desto autoritärer gestaltet er seine Politik und desto höher ist die Wahrscheinlichkeit von inner- und zwischenstaatlichen Konflikten.

Ein starker Rechtsstaat schützt die Demokratie, indem er die Gewährleistung der Grund- und Freiheitsrechte kontrolliert. Insbesondere Höchstgerichte stellen Bollwerke gegen Versuche der Autokratisierung dar, denn sie agieren als verlangsamende Instanzen, die der Zivilgesellschaft und dem Parteienspektrum Zeit verschaffen, um auf autoritäre Tendenzen zu reagieren. Aus diesem Grund wählten die Lichtblicke den Justizpalast als Sinnbild für die in einen starken Rechtstaat eingebettete Demokratie für die heurige Eröffnung. Negativbeispiele wie Ungarn oder Polen veranschaulichen, welche Rolle Höchstgerichte und der Zugriff auf sie beim autokratischen Staatsumbau spielen. Sie sind gemeinsam mit anderen Kontrollorganen wie parlamentarischen Oppositionsrechten und freien Medien stets die ersten Zielscheiben bei der Entfaltung autoritärer Politik. Im Playbook der Autokraten ist die Gleichschaltung der Gerichte ein probates Mittel für Machterhalt und Machtausbau, weil sie die störende Kontrolle eliminiert.

Nicht zuletzt korrespondierte die Eröffnung der Lichtblicke im Justizpalast mit dem heurigen Gedenkjahr an die Revolution von 1848. Vor 175 Jahren kämpften die Wiener:innen nicht nur für Presse- und Meinungsfreiheit, sondern auch für die Bindung der Herrschaft an die Verfassung, für den Rechtsstaat, also gegen staatliche Willkür. Danach war noch ein langer Weg der Demokratisierung zu beschreiten, der bis heute nicht abgeschlossen ist, weswegen die Lichtblicke insbesondere bei performativen Versammlungen stets auch auf die Leerstellen der demokratischen Realverfassung hinweisen. Demokratie darf kein Privileg einiger weniger, sondern muss ein Recht aller sein. Hierfür reicht es nicht, allein rechtliche Gleichheit zu schaffen. Vielmehr muss gesellschaftliche Gleichheit angestrebt werden, damit wir unsere gleichen Rechte auch in gleicher Weise wahrnehmen können.

Demokratie benötigt also Licht, öffentlichen Raum, Gerechtigkeit, Gleichheit und: Zeit. Für alle ihre grundlegenden Prozesse, für Information, Partizipation, Aushandlung und Entscheidung benötigt die Demokratie Zeit. Die Lichtblicke sind Momente der Entschleunigung, Grund, stehen zu bleiben, innezuhalten und Wesen und Wert der Demokratie gewahr zu werden.